Kindheit hinter der Glasscheibe


Hallo Ihr Lieben!

Heute möchte ich über ein Thema schreiben, dass mir schon eine ganze Zeit unter den Nägeln brennt. Für einen Blogartikel hat eigentlich nur noch ein letzter Anstoß gefehlt und den habe ich am Freitag beim Einkaufen mit den Kindern bekommen (wer nachlesen möchte, was uns beim Einkaufen am letzten Freitag passiert ist, der klickt bitte hier)

Ihr fragt Euch sicher, was es mit der Metapher “Kindheit hinter der Glasscheibe” auf sich hat. Diesen Titel habe ich aus folgendem Grund gewählt:

Kindheit hinter der Glasscheibe

In seinem Schreibratgeber “Schneller Bestseller” (2013, S. 112) schreibt Stephan Waldscheit, dass viele Autoren ihre Romancharaktere zu wenig mit ihrer Umgebung interagieren lassen und so das Gefühl entstünde, die Figuren erlebten ihre Umwelt hinter einer Glasscheibe.

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Was ich in den letzten Jahren in Bezug auf Kindheit heute beobachtet habe, kommt diesem Gefühl ziemlich nahe. Kinder haben es schwer mit ihrer Umgebung auf ihre eigenen Art und Weise zu interagieren. Wir sperren sie zunehmend hinter eine Glasscheibe, ganz nach dem Motto: “Nur gucken, nicht anfassen!”

Der Lebensraum der Kinder wird immer kleiner

Wie passt das jetzt genau mit dem zusammen, was wir am Freitag erlebt haben? Ganz einfach, in unserer Gesellschaft nehmen Räume, in denen Kinder auf die Bedürfnisse von Erwachsenen Rücksicht nehmen müssen, immer mehr Platz ein. Die Lebensräume für Kinder werden immer kleiner. Rennen im Supermarkt? Auf keinen Fall! Spielen im Hausflur eines Mehrfamilienhauses? Undenkbar! Blumen pflücken im Park? Geht nicht. Alles voller Hundekacke oder verboten. Lautes und ausgelassenes Singen/Turnen/Tanzen in der U-Bahn, beim Arzt, im Schuhgeschäft? Äh, bitte nicht! Spielplätze? Haben leider viel zu oft eine zeitliche Spieleinschränkung. Kinder dürfen nur bis 18:00/20:00 Uhr laut über den Platz stürmen – Erwachsenen dürfen bis 22:00 Uhr laute Musik hören. Zudem sind die Plätze von Erwachsenen vorgefertigt, die Spielgeräte mit einer bestimmten Funktion versehen, die sich nur selten durch Kinderhände verändern und gestalten lässt. Spielen findet im hohen Maße in einem vorgefertigten und speziell erdachten Raum statt. Ich meine – hallo? – schon alleine die Notwendigkeit der Existenz von extra gebauten Spielplätzen (“Spielinseln”) sagt doch wohl alles!

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Worauf ich hinaus will, Kinder müssen immer und ständig in unserem Alltag Rücksicht nehmen. Das war wahrscheinlich schon immer so, aber allein die Tatsache, dass früher nicht so viele Menschen auf so engem Raum gelebt haben (ich muss dazu sagen, ich habe Berlin vor der Nase), es wesentlich weniger Verkehr und keine riesen Einkaufszentren gab, legt die Vermutung nahe, dass Kinder damals wenigstens einen Ausgleich zu dem ganzen Stillsein und Stillsitzen und sich tadellos benehmen hatten. Nämlich die Freiheit einfach mal durch den Wald zu streunen oder das Dorf zu erkunden.

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Fortschritt beinhaltet auch immer  neue Einschränkungen

Dabei möchte ich auch die Kindheit von früher nicht zu einer reinen Bullerbü-Kindheit verklären, die sie nicht war. Denn in jeder Generation hatten Kinder mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Aber ich möchte bewusst machen für die heutigen Schwierigkeiten, die Kinder in unserer schnelllebigen Gesellschaft haben. Denn auch wenn das Leben in vielen Hinsichten leichter geworden ist, geht dieser Fortschritt auch immer mit neuen Einschränkungen einher. Und was ich bisher so erlebt und gesehen habe, lässt mich die These aufstellen, dass viele diese Einschränkungen gar nicht mehr wahrnehmen, sondern als selbstverständlich empfinden. Bricht ein Kind aus diesen Erwartungen aus, so haben die Eltern versagt und die Kinder sind kleine Tyrannen! Dabei bin ich mir sicher, dass in den meisten Fällen nicht die Eltern diejenigen sind, durch die “unsere Kinder zu Tyrannen werden”, sondern die gesellschaftlichen Umstände, die Kinder heute dazu zwingt, sich wie kleine Erwachsene zu benehmen. Wenn dieser Zwang auch heute (hoffentlich) nicht mehr durch Schläge o.Ä. zustande kommt.

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, sondern Kinder!

Kinder werden gezwungen ihre Kindheit hinter einer Glasscheibe zu verbringen, die verhindert, dass sie sich ihrem Alter entsprechend verhalten. Wen wundert es da, dass sie mit aller Macht versuchen diese Scheibe einzuschmeißen und dann auch mal im Supermarkt anfangen zu quengeln und sich benehmen wie… na eben wie Kinder!

Versteht mich nicht falsch, auch ich freue mich, wenn ich meinen Einkauf in Ruhe erledigen kann. Aber wenn dann doch mal ein Kind schreit, dann kann ich es nachempfinden. Ich möchte beim Einkaufen auch immer schreien, so ätzend finde ich das!

Was sind Eure Erfahrungen? Habt Ihr auch schon mal hektische Schweißausbrüche bekommen, weil Eure Kinder partout nicht ruhig sein wollten, als Ihr gerade beim Arzt/Friseur/der Bank o.Ä. ward (und ich rede jetzt nicht von Trotzanfällen, sondern in erster Linie von einfachem Spielverhalten)? Wie geht Ihr damit um?

Ich freue mich über Eure Kommentare!

Liebe Grüße

Eure Lotti

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5 Kommentare auf “Kindheit hinter der Glasscheibe

  1. Pingback:Brief an den Herrn Nachbarn zum Thema Kinderlärm! So geht es mir und wie geht es Dir? - Bunter Familienblog | Zicklein & Böckchen

  2. Riana am schreibt:

    Ja das kennen wir zu genüge 🙂 besonders Michel ist alles Schnuppe.Der schreit wo er will und heult wo er will. Gut er ist ja noch relativ klein. Lynn ist mit 5 Jahren dagegen wesentlich einfacher und ruhiger. Ala ich den Bericht gelesen habe, habe ich Lynn da irgendwie wiedergefunden. Oft sagen wir nein, weil das spielen, schreien, rennen usw.nicht zur Situation passt. Aber auch da sehe ich, man sollte lockerer werden. Kinder sollten echt Kinder sein, doch brüllt das Kind, wird man doof angesehen und möchte man das? Nein 🙁
    Daher ist man immer im Zwiespalt mit sich selbst. Tolleriere ich die Blicke der anderen und lass ich unsere Kinder machen und ist es mir zu unangenehm und weise die Kinder darauf hin, leise zu sein. Es ist wirklich schwer.
    Aber ich werde jetzt versuchen lockerer zu sein und die Kinder ihre eigenen Fehler zu machen. Oft sage ich vorher schon Nein, damit sie ja kein Blödsinn machen, aber lernen Kinder daraus? Eher nicht. Man lernt nur aus eigenen Fehlern.
    Also holen wir unsere Kinder mal vor die Scheibe 🙂

    • zickleinLotti am schreibt:

      Liebe Riana,
      vielen Dank für Deinen Kommentar! Ich freue mich sehr darüber!
      Und mir geht es ganz genauso wie Dir. Nicht nur der Blicke wegen, sondern weil es mir wichtig ist, dass meine Kinder Rücksichtnahme lernen. Andererseits haben sie aber genauso Anspruch darauf, dass andere auch mal auf sie und ihre Bedürfnisse Rücksicht nehmen! Es ist ein Zwiespalt, in dem sich wahrscheinlich alle Eltern wiederfinden. Aber ich habe mir vorgenommen zukünftig diesbezüglich auch gelassener zu werden und meinen Kindern etwas mehr Freiheit zu schenken. Denn ich habe mich in letzter Zeit auch ständig dabei erwischt, dass ich sie nur noch ermahnt habe. Oft sogar noch, bevor sie überhaupt irgendetwas gemacht haben. Pass auf! Geh aus dem Weg! Nicht anfassen! Wenn möglich, denke ich über solche Sätze nun erst zweimal nach und schau, wo ich auch mal weggucken kann 🙂

      • Silke am schreibt:

        Ich habe neulich mal diesen schönen Satz gelesen: Meine besten Erziehungsmomente bestehen im Nichthinsehen. 🙂 Oder so ähnlich.
        Aber es ist doch wirklich so: Überall wird von den Kindern Rücksichtnahme eingefordert. Ich muss auch versuchen, lockerer zu werden, aber ich schaue wirklich schon oft nicht hin. Und wenn mich jemand anspricht? Dann antworte ich gelassen: “Es ist ein KIND!” Ich glaube, das Wichtigste für unsere Kinder ist doch, dass sie spüren, dass wir in jeder Situation hinter ihnen stehen: Wenn sie sich wütend auf den Boden schmeißen, weil sie keinen sechsten Keks mehr bekommen. Wenn sie freudig ihren kleinen Einkaufswagen durch den Supermarkt schieben und dabei auch mal – nennen wir es “anecken”. Und auch, wenn sie wirklich Mist bauen, und zum Beispiel jemanden als “Blödian” beschimpfen. Natürlich maßregeln wir sie in solchen Momenten, aber genauso wichtig finde ich, dass die Kinder es erleben. Und dass wir ihnen zeigen: “Hey, das finde ich nicht gut” oder “Hey, es ist wichtig, zu schauen, dass du keinem weh tust” – aber genauso: “Hey, ich hab dich lieb!” (Und jetzt in diesem Moment, wo du ganz verdattert dreinschaust, noch ein kleines Stückchen mehr.)

        Wundervoller Artikel!

        • zickleinLotti am schreibt:

          Hallo Silke!
          Vielen Dank für Deine Worte. Genauso habe ich das gemeint. Natürlich können wir nicht immer jedes Verhalten tolerieren, unsere Kinder müssen ja auch lernen, wie man sich in so einer großen Gemeinschaft benimmt. Aber es gibt in unserer Gesellschaft leider kaum noch Orte, wo Kinder sich wie Kinder verhalten können ohne jemanden zu stören. Und das übt auch Druck auf die Eltern aus. Wenn man die Situation dann so klären kann, dass sich die Kinder trotzdem angenommen und verstanden fühlen, hat man schon ganz schön was geschafft.

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