Ein Plädoyer für das Mittelmaß


Ein Fehler und alles ist aus!

“Die Zukunft Ihres Kindes liegt in Ihren Händen!”

Mit diesem Satz wirbt, oder zumindest warb bis vor kurzem, eine Firma, die Säuglingsnahrung herstellt. Dazu gibt es Bilder von Baby´s, die später als Erwachsene tolle Berufe, wie z.B. Mathematiker, haben. Nur eins von vielen Beispielen, in denen sich die Werbebranche die Ängste von Menschen, in diesem Fall speziell der Eltern, zu Nutze macht. Die Werbemacher greifen dabei auf, was in vielen Köpfen fest verankert zu sein scheint:

“Jeder ist seines eigenen Glückes (und das seiner Kinder) Schmied”. Damit lastet ein unglaublicher Druck auf Eltern.

Passt auf! Passt auf! Ihr habt nur diesen einen Versuch! Nur ein kleiner Fehler, eine Unachtsamkeit und schon ist es passiert: Eure Kinder landen in der Gosse, haben keine Chance in der Gesellschaft, werden einsam und verbittert enden und Ihr seid Schuld daran!

Die falsche Säuglingsnahrung? Ein fataler Fehler! Nicht die richtige Autoschale? Skandal! Eure Kinder können noch nicht krabbeln, laufen, sitzen? Pfui! Am besten Ihr meldet sie schon vor der Geburt zum Babyyoga, Frühenglisch, Babygebärden und musikalische Früherziehung an. Und wehe Ihr vergesst PEKIP! Aus den Baby´s kann ja wohl nichts werden!

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Kinder kommen nicht als unbeschriebenes Blatt auf die Welt

Höher, besser, früher, weiter! Unsere Kinder sollen all das und noch mehr erreichen. Warum? Weil wir wollen, dass es ihnen gut geht. Weil wir wollen, dass sie jede Chance auf ein glückliches Leben erhalten, die sie kriegen können. Weil wir sie lieben.

Aber lieben wir sie nicht genauso, wie sie sind? Bei all dem “Förderwahn”, wie es so schön heißt, sollten wir nicht vergessen, dass unsere Kinder nicht als unbeschriebenes weißes Blatt zur Welt kommen, auf dem wir unsere Kleckse hinterlassen können und so ein Gemälde nach unseren Vorstellungen kreieren.

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Genauso wenig trifft der Spruch: “Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm” zu, der andeutet, dass die Kinder nach ihren Eltern kommen und ihre Entwicklung damit schon vorprogrammiert ist. Beide Ansätze waren einmal dominierende Entwicklungstheorien, doch schon seit einiger Zeit weiß man, dass die Entwicklung eines Menschen sowohl durch exogene (äußere Ursachen; Umwelt) als auch durch endogene Faktoren (innere Ursachen; Persönlichkeit) beeinflusst wird. Und diese Faktoren wirken bei jedem Menschen individuell und haben unterschiedliche Auswirkungen.

Die selben Gene – zwei Persönlichkeiten

So werden sich Geschwister z.B. niemals völlig gleich entwickeln, obwohl sie unter den selben Bedingungen aufwachsen. Ebenso haben gleiche Erbanlagen unterschiedliche Ausprägungen. Der Märchenprinz und ich haben zwei gemeinsame Kinder. Eines kommt optisch ganz nach dem Märchenprinzen, charakterlich sehr nach mir. Das andere kommt optisch total nach mir und charakterlich … nach seinem Onkel 😉

Wir können die Entwicklung also gar nicht so stark beeinflussen, wie wir vielleicht denken. Das Zicklein z.B. nimmt sich Probleme immer gleich zu Herzen und lässt sich schnell verunsichern, während das Böckchen ein richtiger Draufgänger ist und in den selben Situationen einfach mit dem Kopf durch die Wand geht. Die selben Gene, das selbe elterliche Umfeld – zwei Persönlichkeiten.

 

Wir können nicht alle die Welt regieren

Warum also lassen wir uns trotzdem so unter Druck setzten, wenn das eigene Kind z.B. noch nicht Fahrradfahren kann (*malmeld*), so wie alle anderen Kinder in dem Alter? Ganz oft höre ich auf diese Frage folgende Antwort: “Weil ich will, dass es meinen Kindern einmal besser geht!” Ganz ehrlich? Ich will das nicht! Mir geht es, wie den meisten Deutschen, gut. Ich muss nicht Hungern, ich hab ein Dach über dem Kopf, eine tolle Familie. Mein Leben ist nicht perfekt, aber das bin ich auch nicht. Und wer ist das schon? Aber ich kann mit all dem überleben. Es ist alles da, was ich wirklich brauche, und ich freue mich, wenn meine Kinder später auch so ein Leben führen können – ein Leben, dass sie zufrieden macht und in dem sie keine Angst vor Hungersnot o.Ä. haben müssen.

Natürlich darf es auch noch mehr sein. Das Schloss, einen Ferrari oder der Privatjet. Ich gönne meinen Kindern jedes Glück dieser Welt. Sie sollen einfach so leben, wie es sie glücklich macht. Und wenn das heißt, dass sie keine Lust auf Frühchinesisch haben, sondern lieber im Garten Verstecken spielen, oder später einmal nicht Anwalt/Anwältin, Arzt/Ärztin oder Bundeskanzler/Bundeskanzlerin oder sonst was werden- so what? Wir können nicht alle die Welt regieren. Das ist faktisch unmöglich!

Und was wäre die Welt schon ohne z.B. all die handwerklichen Berufe, die leider oft verpönt sind, solange man sich nicht selbstständig macht. Was wäre ein Anwalt noch wert, wenn Geld selbst keinen Wert mehr hätte (Was ja durchaus passieren kann!)? Dann wäre es doch beispielsweise besser, man könnte ein Haus bauen und nicht schon mit 2 Jahren Frühchinesisch. Und mal ehrlich – wann wurdet Ihr das letzte Mal bei einem Vorstellungsgespräch gefragt, wann Ihr Krabbeln oder Fahrradfahren gelernt habt?

Mut zum Mittelmaß oder weniger

Natürlich ist es schön, z.B. mehrsprachig aufzuwachsen, weil es viele Jobs erfordern und es Kindern in der Regel leichter fällt eine Fremdsprache zu lernen, als Erwachsenen. Ja, es gibt diese bestimmten Zeitfenster, in denen Kinder besonders empfänglich für bestimmte Reize sind. Aber das heißt doch nicht, dass diese Fenster sich danach immer unwiderruflich schließen!

Und meist kann man diese Fenster gar nicht verpassen, weil uns unsere Kinder von selbst signalisieren wofür sie gerade empfänglich sind und was ihr Interesse weckt.

Wenn Eure Kinder später etwas lernen wollen, was sie noch nicht können, dann werden sie von selbst alles daran setzten, das zu lernen. Eben weil sie es wollen und es sie glücklich macht. Einige brauchen dafür länger und andere eben nicht.

Ich werde in diesem Leben aus meinem Kind bestimmt keine Sportskanone mehr machen. So ist das eben. Auf mache Dinge hat man keinen Einfluss. Ich kann ihr nur das Fahrrad hinstellen, aufsteigen muss sie allein.

Also lasst Euch von solchen Sprüchen ,wie in der Werbung, nicht unter Druck setzten und genießt auch mal das Mittelmaß oder weniger.

Seit zwischendurch ruhig mal “nur” mittelprächtige Eltern und hadert nicht mit jedem Fehler. Eure Kinder werden das verkraften. Wer dauerhaft ganz oben mit strampeln will, macht sich irgendwann kaputt und seine Kinder damit unglücklich. Denn was sie wirklich brauchen sind liebevolle Eltern, die ihnen ab und zu das Fahrrad aus dem Schuppen holen 🙂

Wie denkt Ihr darüber? Was machen Eure Kinder in Ihrer Freizeit? Spürt Ihr auch diesen Druck, immer das beste zu wollen und die Angst Euer Kind könnte hinterherhinken? Oder habt Ihr für Euch schon einen Weg gefunden, damit umzugehen?

Liebe Grüße

Eure Lotti

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7 Kommentare auf “Ein Plädoyer für das Mittelmaß

  1. Pingback:Warum faule Eltern pädagogisch wertvoll sind! - Bunter Familienblog | Zicklein & Böckchen

  2. Pingback:Warum faule Eltern pädagogisch wertvoll sind! - Zicklein & Böckchen

  3. Das ist ein ganz toller Beitrag zu einem Thema, das wohl jede Mutter kennt. Ich merke auch, wie ich mich von anderen Leuten unter Druck setzen lasse. Das Glücksbaby geht mit seinen 3 Monaten bisher zu keinen Babykursen. Ganz einfach weil ICH momentan keine Lust dazu habe. Mag sein, dass viele das für egoistisch halten, aber für uns war das bisher die richtige Entscheidung. Es ist nur schade, dass man sich anderen Leuten gegenüber oft rechtfertigen muss…

    • zickleinLotti am schreibt:

      Liebe Katrin,

      vielen Dank für Deine Worte!

      Da hast Du wohl recht, man muss sich als Mutter und/oder Vater ja oft rechtfertigen, egal wie man es macht. Ich habe mit dem Böckchen damals mehrere Kurse besucht, einfach, weil ich andere nette Mamas kennenlernen wollte, und nicht wegen der speziellen Förderung. Man bekommt mit unter schon tolle Anregungen, sich mit seinem Baby zu beschäftigen, aber das mache ich dann aus Liebe und nicht weil ich hoffe, dass es dann mal Bundeskanzler wird. Das klappt meiner Meinung nach eh nicht und so etwas kann auch nach hinten losgehen 😉

      Ich wünsche Dir noch eine ganz tolle Babyzeit!

      Liebe Grüße
      Lotti

  4. Pingback:Typisch Mädchen, typisch Junge - Meine Kinder sind wie Tag und Nacht - Zicklein & Böckchen

  5. Silke am schreibt:

    Ach, liebe Lotti, das ist so ein schwieriges Thema. Und du hast es sehr schön auf den Punkt gebracht. Als Zweit-Mami lässt man sich ja bekanntlich weniger verunsichern als als Erst-Mami. Ich muss auch ehrlich gestehen, dass ich mich von der größeren Gesellschaft bisher recht wenig beeindrucken oder auch verunsichern lassen habe. Anders sieht es da mit der verwandtschaftlichen Gesellschaft aus. Wir alle kennen die Sätze der vorhergehenden Generation: “Also, ihr wart mit einem Jahr trocken.” – “So etwas habt ihr nie gemacht! Ihr habt immer gehört in dem Alter.” usw. Ich tue solche Sätze ja meist mit einer Handbewegung ab, kann mich aber leider doch nicht dagegen wehren, dass irgendwo, ganz am Rande meines Gehirns doch ein Fünkchen davon hängen bleibt und daraus immer mal wieder ein größeres Feuer entfacht, das da zu sagen scheint: “Da hast du jetzt aber irgendwas falsch gemacht.” Ich denke, davor ist niemand gefeit.

    Das Problem mit der ganzen Frühförderung liegt bei mir auch weniger in der Gesellschaft als in mir selbst. Ich bin relativ untalentiert 😀 Ich würde aber gerne Gitarre spielen können, gelenkig sein, fließend Spanisch sprechen, gut tanzen können und hübsche Bilder malen können. Alles Sachen, die nicht unmöglich sind, aber für die man lange üben muss und daher früh anfangen sollte. Und wenn ich sie gerne können möchte, möchten meine Kinder das doch gewiss auch… 😉 Also sollte ich sie zum Sport anmelden… Oder zum Kindertanzen… Denn ich wünschte, meine Eltern hätten solche Sachen mit mir geübt. Stattdessen habe ich Judo und Basketball trainiert, hab meiner Oma beim Nähen zugeschaut und bin Stangen, Bäume und Mauern hochgeklettert. Manchmal denke ich: Ist doch eigentlich auch gar nicht so schlecht. Und dann denke ich: Wahrscheinlich wünscht sich mein späterer tanzender Picasso sogar nichts sehnlicher, als ein nähender Judoka zu sein, und ärgert sich, dass ich die falschen Sachen mit ihm geübt habe… 😀

    Aber abgesehen davon glaube ich auch an das Zeitfenster, das aufmerksame Eltern, wie wir es doch meistens sind, einfach nicht übersehen können… 🙂

    • zickleinLotti am schreibt:

      Liebe Silke, vielen Dank für deinen tollen Kommentar!
      Mir geht’s ganz genauso. Ich lasse mich auch mehr von meinem Umfeld verunsichern. Die habe ich jetzt einfach mal in die Gesellschaft mit einbezogen 🙂 Dabei muss nicht einmal immer jemand etwas sagen, es reicht schon zu sehen, dass alle anderen im selben Alter es schon können oder talentierter sind. Dann denke ich immer, hätte ich das auch so gemacht, wie die anderen Eltern, würde sie es auch besser können (Natürlich kann sie dafür andere Sachen besser, aber das sehe ich in diesem Moment dann nicht)

      Und ja, ich habe auch oft gedacht, hätte ich schon als kleines Kind mit dem Klavierspielen angefangen, könnte ich es jetzt auch so gut wie meine Freundin etc. Aber die Sache ist doch die, wir lernen nur schnell und leicht, wenn wir es gerne tun. Und wenn wir es mit 3 Jahren nicht gerne tun, dann müssen wir uns abmühen und entwickeln vl. eine Aversion. Daher mein Plädoyer: Kinder ausprobieren lassen, ihnen die Chance geben, an solchen Dingen teilzunehmen (quasi das Fahrrad aus dem Schuppen holen), aber ohne zu hohe Erwartungen oder Druck. Und keine Panik, wenn mal etwas nicht so gut klappt. Dafür geht was anderes besser. Ich konnte z.B. immer ganz gut zeichnen, dass wurde aber nicht groß weiter gefördert, denn das konnte ich ja schon.

      Oder ein anderes Beispiel: Meine Rechtschreibung ist grottenschlecht! Das war in der Schule immer ein großes Thema und meine Noten litten extrem darunter. Trotzdem habe ich eine Berufsausbildung und ein abgeschlossenes Studium mit “sehr gut”. Reich oder berühmt bin ich nicht, aber ich bin stolz auf das, was ich geschafft habe und habe es nur geschafft, weil ich es wollte und es mir Spaß gemacht hat.

      Liebe Grüße
      Lotti

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